Schallplatte: Musik aus der Konserve

Schallplatte: Musik aus der Konserve
Schallplatte: Musik aus der Konserve
 
Über lange Jahrtausende unserer Kulturgeschichte war das gesprochene Wort, die gesungene Melodie Schall und Rauch, war der Reiz der Stimme so vergänglich wie das Leben. Erst 1877 gelang es dem amerikanischen Erfinder-Tausendsassa Thomas A. Edison mit seinem Phonographen Schallwellen zu speichern und damit Klänge sichtbar und ertastbar zu machen. Die sinnliche Wahrnehmung durch das Ohr bekam eine historische Dimension. Weitreichende Folgen für die Vermarktung von gespeichertem Schall hatte jedoch erst das 1887 vom amerikanischen Elektrotechniker Emile Berliner entwickelte Verfahren der Schallaufzeichnung auf einer flachen Scheibe. Die Schallplatte ermöglichte fortan die technisch einfache Massenfertigung und die Schallwiedergabe durch das Grammophon.
 
Die ersten Schallplatten waren aus Hartgummi gefertigt und hatten lediglich eine Spieldauer von maximal zwei Minuten. Um die Jahrhundertwende wurde der Schellack, eine Mischung aus Baumharz und Wachsabscheidungen der Lackschildlaus, für ein halbes Jahrhundert lang bis zur Einführung der Langspielplatte 1948 die Basis für fast alle kommerziell vervielfältigten Tonträger. 1901 erschienen die ersten Platten mit einer auf drei Minuten verlängerten Spieldauer bei einem vergrößerten Durchmesser von 25 Zentimeter. Von den neuen Möglichkeiten dieses größeren Tonträgers profitierten hauptsächlich die Sänger und von deren Aura wiederum die Schallplattenindustrie: Kein Geringerer als der Startenor Enrico Caruso trug 1902 mit seinen ersten Aufnahmen entscheidend dazu bei, dass die Schallplatte als Medium der klassischen Musik mehr und mehr akzeptiert wurde.
 
 Von Aufnahmetechniken und Tonträgern
 
Bis 1925 konnten Schallplatten allerdings nur rein akustisch aufgenommen werden, das heißt ohne elektroakustische Verstärkung. Die Schallwellen wurden in einem oder mehreren Aufnahmetrichtern gebündelt und in der Schalldose in horizontale Auslenkungen des Aufnahmestichels umgesetzt. Dieses Verfahren verlangte fallweise Uminstrumentierungen und erlaubte noch keine akzeptablen Aufnahmen mit großen Ensembles. Zwar waren bereits von 1906 an vereinzelt Opern und von 1913 an auch Orchesterwerke eingespielt worden, doch blieben die Ergebnisse notgedrungen in akustischen Kompromissen stecken, deren blechernes Klangbild den Ausdruck »Konservenmusik« provozierte. Erst das 1925 eingeführte elektrische Aufnahmeverfahren mittels Mikrofon und Verstärker ermöglichte den eigentlichen Durchbruch der Schallplatte im Bereich der klassischen Musik. Von nun an konnten erstmals selbst große Chorwerke, spätromantische Sinfonien und vollständige Opern technisch befriedigend reproduziert werden. Auch für die Unterhaltungsmusik hatte die elektrische Aufnahmetechnik weit reichende Folgen - man denke nur an die Möglichkeiten der Manipulation der menschlichen Stimme, die nunmehr im stärksten Forte »flüstern« konnte. Sänger wie Frank Sinatra und Elvis Presley verdanken dieser medienspezifischen Direktheit der Intimität ihre großen Erfolge.
 
Trotz alledem, ungeachtet aller noch so spektakulären technischen Neuerungen sind die Tonträger bis heute ein Kompromiss geblieben, wenn auch ihre technische Entwicklung ihn immer erträglicher gemacht hat. Überspitzt formuliert, ist aus rezeptionsästhetischer Sicht heute sogar das über den Tonträger wahrgenommene Klanggeschehen auf oft fragwürdige Weise zum Ideal des sinnlichen Musikkonsums geworden, während sich das Livekonzert mehr und mehr nur als Kompromiss zwischen ganzheitlicher Musikrezeption und dem selten erreichbaren Ideal akustisch perfekter Klangkultur behaupten kann.
 
Die Gesamtentwicklung der Tonaufzeichnung zeichnet sich durch fortschreitende Minimierung technisch-ästhetischer Kompromisse aus. Mit der Einführung des Tonfilms 1929 wurde erstmals die synchrone Dokumentation von Ton und Bild, deren eindeutige Zuordnung zueinander, Realität. 1935 erfinden deutsche Techniker das Magnettonband. Es wird zunächst versuchsweise verwendet, doch mit dem Aufkommen der Langspielplatte 1948 setzt sich dieser neue Originaltonträger durch und revolutioniert die Möglichkeiten der Beeinflussung durch den Tontechniker. Denn mit dem Tonband wird es erstmalig möglich, verschiedene Aufnahmesequenzen bruchlos aneinander zu fügen. Damit wird die Arbeit im Studio endgültig zum Teamwork zwischen Musikern vor und hinter dem Mikrofon. Spionagetechnologie führte 1945 zu einer merklichen Verbesserung der Schallplattenschneidetechnik vor allem hinsichtlich der tiefen Frequenzen.
 
Die aus PVC gefertigte Langspielplatte, auch LP genannt, hatte neben einer kleineren Rille eine herabgesetzte Umdrehungsgeschwindigkeit von 331/3 Umdrehungen pro Minute. Mit ihrem Aufkommen änderte sich das Repertoire des Tonträgers: Kompositionen wurden vielfach zu Sammelprogrammen zusammengefasst, abendfüllende Werke wie Opern von nun an häufiger eingespielt, weil die LP mit ihrer längeren Spieldauer von bis zu 30 Minuten pro Seite nicht nur preiswerter als die Schellackplatte mit ihren knapp 5 Minuten pro Seite, sondern obendrein auch leichter und einfacher zu bedienen war.
 
Bereits 1953 wird das Videoband professionell genutzt und beginnt seither langsam aber beständig den Film aus dem Fernsehbereich zu verdrängen. Und seit 1954/55 wird ganz regulär in Stereophonie aufgenommen. Räumliches Hören war schon lange ein Wunschtraum der Techniker; bereits 1929 hatte man mit stereophoner Übertragungstechnik experimentiert, doch immer wieder gab es ungelöste Probleme mit der Speicherung der auf zwei Kanäle verteilten Schallinformation. Erst mit dem Einsatz des Magnettonbands erreichte man eine Kanaltrennung, wie sie zuvor bei allen üblichen Schallplattenschneideverfahren nicht erzielt werden konnte. 1958 kommen dann die ersten Stereoschallplatten in den Handel, etwa Mitte der 60er-Jahre hat die Stereoschallplatte endgültig die Monopressung abgelöst.
 
Die industriell bespielte Kompaktkassette, offiziell MusiCassette oder MC genannt, eroberte 1965 den Markt, nachdem die unbespielte Kompaktkassette bereits 1963 eingeführt worden war. Neben der Compact Disc, der CD, hat sich die MC weltweit als Tonträger für den mobilen Einsatz im Walkman oder Autoradio durchgesetzt und spielt seither vor allem auf den Märkten der Dritten Welt eine große Rolle.
 
 Die digitale Revolution
 
Mit der Einführung der Videokassette wird der Bild-Ton-Träger aber 1970 auch im Heimbereich Realität. 1972 jedoch vollzieht sich mit dem Übergang von der analogen zur digitalen Speicherung auf Magnetbändern eine Revolution, deren Folgen an der Wende zum 21. Jahrhundert wir noch gar nicht ganz abschätzen können. Denn prinzipiell ist das digitale Medium wie DAT-Cassette oder CD kein Tonträger mehr, sondern ein Datenträger. Bei ihm werden die elektrischen Schwingungen »vermessen« und als Reihe von Zahlencodes gespeichert. Die Umwandlung von Schallsignalen in digitale Signale geschieht mittels eines Analog-digital-Wandlers. Jedem Momentanwert des Schalldrucks wird dabei eine bestimmte Ziffernkombination zugeordnet, die mithilfe des Digital-analog-Wandlers wieder in ein analoges Schallsignal zurückgewandelt werden kann. So ist jeder CD-Player gewissermaßen ein kleiner Computer mit fest installierter Programmsoftware. Und 1981 war es so weit: Kaum auf den Markt gekommen, wurde die CD vor allem dank ihrer leichten Bedienbarkeit und der Freiheit von Störgeräuschen schnell zum meistverbreiteten massenproduzierten digitalen Tonträger. 1990 wurden weltweit schon 770 Millionen CDs und doppelt so viele MCs verkauft, gegenüber 339 Millionen LPs. Und 1997 lagen die Verkaufszahlen bei 2,220 Milliarden CDs, aber nur noch 1,431 Milliarden MCs und lediglich knapp 18 Millionen LPs. In welcher Form sich der digitale Tonträger allerdings im 21. Jahrhundert halten wird, ist offen. Die globale Vernetzung mag in einigen Jahrzehnten dem individuellen Tonträger seine Existenzberechtigung nehmen.
 
Dr. Martin Elste

Universal-Lexikon. 2012.

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